EIN MENSCH IN RHAUDERFEHN

Texte dagegenTEXTE DAGEGEN
(HRSG.) SILVIA BARTHOLL
BELTZ & GELBERG (1993)

Beitrag des Autors: Manfred Protze
Der Titel seines Beitrages wird hier wie zur damaligen Zeit und in der gedruckten Fassung widergegeben.

„Bimbo“ lehrt Ostfriesen, was nicht „primitiv“ ist

Als Augustus Kofi Essel 1987 ins ostfriesische Rhauderfehn kam war er einer der distanziert beäugten „Asylanten“. In seiner westafrikanischen Heimat Ghana war er politisch unerwünscht. In Rhauderfehn mußte sich der dunkelhäutige Gastbürger gelegentlich ein „Bimbo“ anhören, wenn er im Auftrag der Gemeindeverwaltung den Rathausplatz fegte. Der studierte Lehrer für Mathematik, Physik und Landwirtschaft suchte aber das Gespräch: Augustus machte sich einen Namen in Rhauderfehn.

Irgendwann entsann man sich seiner Fähigkeiten, die über Straßenfegen und Handlangerdienste hinausgehen. Allen voran die Hauptschule Rhauderfehn und der Landtagsabgeordnete der Grünen, Kalle Puls-Janssen. Schulleitung, Kollegium und der Abgeordnete sorgten dafür, daß Augustus Essel Lehrer an der Schule wurde. Die Eltern der Schüler stimmten zu. Die Schule setzte damit zugleich ihre offizielle Ernennung zur „UNESCO Schule“ in die Praxis um.

Der 36 Jahre alte Essel stillt seit Jahresbeginn den Wissensdurst von Schülern über Afrika, als Ergänzung zum Erdkunde- und Geschichtsunterricht. Wie leben die Leute in Afrika? Was und wie essen sie? Wie feiern, heiraten, trauern, arbeiten und musizieren die Menschen auf dem schwarzen Kontinent? Warum ist es für manchen „primitiv“, wenn ein Afrikaner mit den Fingern ißt, aber „zivilisiert“, wenn ein Europäer auf einer Party das gleiche tut? Fragen über Fragen, die Essel beantworten kann.

Die Schüler schätzen die Arbeitsgemeinschaften mit dem Afrikaner. Der Parlamentarier Puls-Janssen sieht in dem bundesweit wahrscheinlich einmaligen Projekt auch einen politischen „Durchbruch“.

Der im Land offiziell nur „geduldete“ Asylbewerber Essel macht sich nützlich. Als angestellter Lehrer fällt er dem Sozialamt nicht mehr zur Last. Auch unter den Heimatforschern und Freizeithistorikern der Gemeinde ist das Ansehen von Augustus Essel gestiegen. Im örtlichen Heimatmuseum enträtselte er Masken, Werkzeuge und andere Gegenstände, die Generationen von Seefahrern aus Rhauderfehn als Erinnerung an Afrikafahrten mitgebracht und im Keller des Museums gestapelt hatten.

Wir haben mit dem Autor des Beitrages Kontakt aufgenommen. Er und auch der Verlag
haben uns das Einverständnis für die digitale Veröffentlichung gegeben.

Sollten Sie etwas zum Menschen Augustus Kofi Essel wissen, so würden wir uns
über eine Nachricht freuen.